29. Juli 2024

Soll es eine Generalstaatsanwaltschaft geben?

Zuletzt wurden – medial – Stimmen stark, die auf die Einrichtung einer sog. Generalstaatsanwaltschaft pochen. Tatsächlich ist diese Forderung nicht neu, vielmehr hat sich die Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspraxis bereits seit Jahren mit der Frage beschäftigt, ob die politische Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft reformiert werden soll.

Was hat es damit auf sich?

  1. Die geltende Rechtslage: politische Weisungsspitze

In einem früheren Blog-Beitrag zum Weisungsbericht des BMJ wurde bereits die Weisungshierarche der Staatsanwaltschaften dargelegt. Kurz zusammengefasst sieht diese so aus: Verfassungsrechtlich sind Staatsanwaltschaften „Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit“ (Art. 90a B-VG),  Alle Staatsanwaltschaften sind gegenüber ihrer jeweils zuständigen Oberbehörde (= Oberstaatsanwaltschaft = OStA) weisungsgebunden. Die OStA ist ebenso nicht weisungsfrei, sondern an Weisungen des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) gebunden. Das BMJ kann daher mithilfe einer Weisung an die OStA das weitere Vorgehen der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft in einer bestimmten Strafsache vorgeben. Die OStA ist verpflichtet, die jeweilige Weisung an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzugeben (§ 29a Abs. 1 StAG).

Die Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften ist daher ein politisch besetztes Organ – der/die Justizminister/in.

  1. Die Einführung des „Weisungsrates“

Die Diskussion um eine weisungsfreie Staatsanwaltschaft nahm an Schwung auf, als ein ehemaliger Rechtsanwalt und Strafverteidiger zum Bundesminister für Justiz ernannt wurde: Prof. Dr. Brandstetter. Anfang 2014 errichtete er einen sog. „Weisenrat“, der sich aus Strafrechtsexperten zusammensetzte und ihn bei der Wahrnehmung seiner Weisungsbefugnis unterstützen sollte, insbesondere, um dem Anschein einer „politischen Beeinflussung“ entgegenzuwirken. Als Randnotiz: Damals war man noch der Auffassung, dass die Schaffung einer unabhängigen Weisungsspitze verfassungspolitisch nicht zu empfehlen wäre. Mit Anfang 2016 erhielt dieses Provisorium eine gesetzliche Grundlage – der „Weisungsrat“ (= Beirat für den ministeriellen Weisungsbereich) wurde geschaffen. Der Weisungsrat ist bei der Generalprokurator angesiedelt, der Generalprokurator ist sein Vorsitzender.

Zur Erklärung: Die Generalprokuratur ist die beim Obersten Gerichtshof eingerichtete „Staatsanwaltschaft“, die aber nicht der Fachaufsicht des BMJ unterliegt, d.h. sie ist weisungsfrei, aber auch nicht weisungsbefugt gegenüber anderen Staatsanwaltschaften. Durch „Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes“ kann sie jede rechtswidrige (auch rechtskräftige) Gerichtsentscheidung bzw. jeden sonstigen rechtswidrigen Vorgang in einem Strafverfahren aufgreifen und dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit vorlegen, womit ihr eine wichtige Rolle bei der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit im Strafrecht zukommt. Obwohl Parteien im Strafprozess, z.B. der Beschuldigte, diese Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht selbst ergreifen können, ist es ein im Strafprozess immer beliebteres Instrument, solche „Wahrungsbeschwerden“ anzuregen.

Der Weisungsrat ist unabhängig und weisungsfrei. Er berät den/die Justizminister/in im Zusammenhang mit Weisungsvorhaben oder sonstigen Erledigungsentwürfen in Strafsachen. Im jährlich zu veröffentlichenden Weisungsrat hat das BMJ über erfolgte Weisungen zu berichten und auch darüber Bericht zu erstatten, in welchen Fällen und aus welchen Gründen der/die Justizminister/in vom jeweiligen Beratungsergebnis des Weisungsrates abgewichen ist. Dies soll die Transparenz erteilter Weisungen sicherstellen.

Zu betonen ist aber, dass das Beratungsergebnis des Weisungsrates für den/die Justizminister/in nicht verbindlich ist – er/sie kann seine/ihre Weisungsbefugnis dennoch selbstbestimmt ausüben. Der Weisungsrat hat daher – neben formellen Begleitmaßnahmen (wie den Weisungsbericht) – die Diskussion um das Weisungsrecht entschärft, aber nicht nachhaltig beendet.

  1. Ergebnis der BMJ-Arbeitsgruppe

Erst 2022 hat eine Expertengruppe ihren Endbericht „zur Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft“ vorgelegt. Die Arbeitsgruppe wurde vom BMJ eingerichtet, nachdem sich die Bundesregierung der Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft verschrieben hatte (Ministerratsvortrag 49/10 vom 24.2.2021).

Auch die Expertengruppe kommt zu dem Ergebnis, dass der Anschein, es könnte aus sachfremden, allenfalls parteipolitischen Motiven, Einfluss auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften genommen werden, der Justiz und der Politik gleichermaßen schade und dauerhaft beseitigt werden sollte. Sie empfiehlt daher, das Weisungsrecht des/der Justizministers/in auszulagern. Die unabhängige Weisungsspitze könnte als „Generalstaatsanwaltschaft“ bezeichnet werden, allenfalls auch „Oberste Staatsanwaltschaft“; die Bezeichnung „Bundesstaatsanwaltschaft“ sollte laut Arbeitsgruppe vermieden werden, da ja alle Staatsanwälte „Bundesorgane“ wären. Während die parlamentarische Kontrolle in Justizverwaltungsangelegenheiten beibehalten bleiben kann, ist sie für laufende Strafverfahren jedenfalls zu beseitigen – diese Verfahren sollen ausschließlich einer rechtlichen Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterliegen. Organisatorisch soll die Generalstaatsanwaltschaft durch einen Ausbau der Generalprokuratur erfolgen. Die bisherige Aufgabe der Generalprokuratur, insbesondere als „Rechtswahrerin“ Wahrungsbeschwerden zu erheben und den Obersten Gerichtshof bei seinen Entscheidungen zu unterstützen, soll also ergänzt werden um die (Fach-)Aufsicht in Einzelstrafsachen, womit sie – in dieser Angelegenheit – oberste Weisungsspitze gegenüber den (Ober-)Staatsanwaltschaften wäre.

  1. Status quo

Wie aktuellen Medienberichten (z.B. vom 15.7.2024) zu entnehmen ist, hat gerade der Bericht der Untersuchungskommission zum Fall Christian Pilnacek die Diskussion um eine General- oder Bundesstaatsanwaltschaft neuerlich entfacht (siehe dazu meinen Linkedin-Beitrag). Offenbar soll insbesondere die Frage, ob ein Kollegialorgan an der Spitze stehe (wie es die Expertengruppe für Weisungen empfohlen hatte) oder eine einzelne Person, ein Knackpunkt in den Verhandlungen der Koalitionspartner sein.