24. Juni 2024

Amtsmissbrauch durch Zustimmung zu einem EU-Gesetz?

Am 20. Juni 2024 wurde medial berichtet, dass die ÖVP die Umweltministerin Leonore Gewessler wegen Amtsmissbrauchs angezeigt hat. Hintergrund der Anzeige ist ihre Zustimmung zum sog. „EU-Renaturierungsgesetz“, die der ÖVP zufolge einen Verfassungsbruch darstellen soll, weil sie entgegen der einheitlich ablehnenden Stellungnahme der Länder erfolgt sei.

Eingangs sei betont, dass der folgende Beitrag ausschließlich rechtliche Überlegungen auf Basis der bisher veröffentlichten Medienberichte zum Inhalt hat und keine abschließende Rechtsbeurteilung des tatsächlichen Sachverhalts darstellt.

Hintergrund:

Der Rat der Europäischen Union führt gemeinsam mit dem Europäischen Parlament das ordentliche Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene. Legislative Entscheidung des Europäischen Parlaments benötigen für ihre Wirksamkeit der Annahme des Rates. Während das Europäische Parlament ein direkt gewähltes Legislativorgan darstellt (es sei an die Anfang Juni abgehaltene „EU-Wahl“ erinnert), setzt sich der Rat aus den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten zusammen, für Österreich ist das grundsätzlich der Bundeskanzler. Bei Themen der Umweltpolitik kommt allerdings der „Umweltrat“ (Environment Council Configuration) zum Zug, der sich aus den für Umweltfragen zuständigen Ministerinnen und Ministern der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Für die Verabschiedung des konkreten Rechtsaktes, der „Regulation on nature restoration“, war die qualifiziert mehrheitliche Zustimmung (55 % der EU-Länder, die zumindest 65 % der Bevölkerung repräsentieren) des Umweltrates notwendig, die laut Medienberichten mithilfe von Österreichs Ja knapp erreicht wurde (20 Länder, 66 % der Bevölkerung).

Hat die Bundesministerin mit ihrer Zustimmung im „Umweltrat“ den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs verwirklicht?

Amtsmissbrauch gemäß § 302 StGB:

Amtsmissbrauch begeht ein Beamter, der mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis als Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht.

Der Tatbestand des § 302 StGB beinhaltet zusammengefasst folgende Elemente:

  • Beamter: nicht jede Person kann (unmittelbarer) Täter des § 302 StGB sein, sondern nur ein Beamter im strafrechtlichen Sinn; der strafrechtliche Beamte“ kann im Namen einer Gebietskörperschaft Amtshandlungen vornehmen – um das vorwegzunehmen: Regierungsmitglieder sind jedenfalls strafrechtliche Beamte
  • in Vollziehung der Gesetze: Amtsmissbrauch kann nur im Rahmen der Hoheitsverwaltung begangen werden, d.h. in Fällen, in denen der Beamte mit „imperium“, der dem Staat eingeräumten, einseitigen Anordnungsbefugnis, handelt, indem er etwa einen Bescheid oder eine Verordnung erlässt; Handeln in der Privatwirtschaftsverwaltung (B. Vertragsabschluss) wird von § 302 StGB nicht erfasst; die ministerielle Verwaltungstätigkeit gehört grundsätzlich zum Bereich der Hoheitsverwaltung, die Gesetzgebung (samt vorbereitende legistische Tätigkeiten) stellt aber keine „Vollziehung der Gesetze“ dar
  • Amtsgeschäft: dazu gehören alle Verrichtungen, die zum Gegenstand des jeweiligen Amtsbetriebs gehören, das können auch faktische Verrichtungen sein; das Amtsgeschäft muss als Organ des jeweiligen Rechtsträgers im Rahmen der abstrakten Befugnis des Beamten gesetzt werden, hier also als Organ der Republik Österreich im Rahmen der abstrakten Befugnis als Bundesministerin
  • Missbrauch der Befugnis: die dem Beamten vorgeworfene Handlung muss ein vorsätzlicher Fehlgebrauch der Befugnis sein, d.h. die pflichtwidrige Ausübung einer Befugnis, weil er gegen ihn konkret treffende Vorschriften, die sich z.B. aus Gesetz ergeben, verstößt
  • subjektive Voraussetzungen: im Zeitpunkt der Tathandlung muss der Beamte für gewiss halten, dass er seine Befugnis pflichtwidrig ausübt; bloßes „für möglich halten“ genügt nicht; zudem muss er vorsätzlich dahingehend handeln, dass er einen anderen an seinen Rechten schädigt – was tatsächlich etwas nebulos klingt, ist Gegenstand zahlreicher OGH-Entscheidungen

Rechtsfragen:

Wie bereits oben aufgezeigt, ist die Eigenschaft der Umweltministerin als strafrechtliche Beamte wohl das am einfachsten zu beurteilende Element des § 302 StGB. Auch von einem Amtsgeschäft wird bei ihrer förmlichen Stimmabgabe im EU-Ministerrat wohl auszugehen sein.

Daraufhin stellt sich die Frage, ob ihre Zustimmung im EU-Umweltrat ein Akt der Gesetzgebung war (kein § 302 StGB) oder ein Akt der Hoheitsverwaltung. Der Rat ist einerseits neben dem Europäischen Parlament (unzweifelhaft ein Gesetzgebungsorgan) Teil der ordentlichen Gesetzgebung, weil er die vom Parlament vorbereiteten Rechtsakte zu ihrer Wirksamkeit förmlich annehmen muss, andernfalls das Gesetzgebungsverfahren beim Parlament fortgesetzt wird (zweite Lesung usw.) oder gescheitert ist. Man könnte aber argumentieren, dass die Umweltministerin dort im Rahmen ihrer ministeriellen Verwaltungstätigkeit handelt, weil sie als zuständige Bundesministerin den EU-Mitgliedsstaat Österreich vertritt und dabei – anders als den Abgeordneten, denen keine Vorgabe für ihre Stimmabgabe gemacht werden darf („freies Mandat“, vgl. Art. 56 B-VG) – Einschränkungen unterliegt.

Das führt zugleich zur nächsten Frage, ob ein Missbrauch der Befugnis vorliegt. Den Medienberichten  zufolge stützt sich die ÖVP darauf, dass ihr „Ja“ zum EU-Renaturierungsgesetz entgegen der verbindlichen Stellungnahme der Bundesländer erfolgt sei. Angesprochen ist damit das verfassungsgesetzlich verankerte Recht der Länder (Art. 23d Abs. 2 B-VG), eine einheitliche Stellungnahme zu einem Vorhaben zu erstatten, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist (wie das hier der Fall ist), mit dem Ergebnis, dass der Bund bei Abstimmungen an diese Stellungnahme gebunden ist; nur aus zwingenden „Integrations- und außenpolitischen Gründen“ dürfte davon abgewichen werden. Es ist laut Medienberichten umstritten, ob eine solche einheitliche Stellungnahme vorliegt. Es wird etwa argumentiert, dass einer solchen nur dann eine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, wenn sie im Rahmen der Integrationskonferenz der Länder erfolgt wäre (vgl etwa das vom Umweltministerium in Auftrag gegebene Gutachten von RA Dr. Stangl). 

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass § 302 StGB hohe Anforderungen an die subjektive Tatseite stellt: Der Beamte muss wissen, dass er pflichtwidrig handelt. Bei der Überzeugung, sich innerhalb der gesetzlichen Befugnisse zu bewegen, liegt keine wissentliche Befugnisausübung vor, selbst wenn diese Rechtsmeinung falsch ist oder abwegig erscheint. Hinsichtlich des Rechtsschädigungsvorsatzes ist als Bezugspunkt ein konkretes (subjektives) Recht erforderlich. Zu beachten ist, dass sich der Rechtsschädigungsvorsatz nicht darin erschöpfen darf, was dem Beamten als Missbrauchshandlung vorgeworfen wird; also z.B. die Nichtbeachtung der Länder-Stellungnahme.

Nach Einlangen der angekündigten Strafanzeige wird diese von Seiten der Staatsanwaltschaft dahingehend geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. Nach § 1 Abs 3 StPO liegt ein Anfangsverdacht dann vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist. Bejaht die Staatsanwaltschaft diese Frage, leitet sie ein förmliches strafgerichtliches Ermittlungsverfahren ein, andernfalls wird die Anzeige „zurückgelegt“, ein Strafverfahren findet nicht statt.