19. Juni 2024

Initiativantrag vom 13.06.2024 (Teil 2)

Geplante Änderungen im Strafverfahrensrecht – Teil 2

Am 13.06.2024 wurde der Initiativantrag 4125/A veröffentlicht. Im vorangegangenen Blog-Beitrag wurden die geplanten Änderungen im Hinblick auf die Beschlagnahme von Datenträgern – z.B. Handys – dargestellt; hier folgt ein Überblick über alle weiteren Reformvorschläge, die im genannten Initiativantrag enthalten sind:

1. Höchstdauer von Ermittlungsverfahren:

Durch das StPRÄG 2014 wurde § 108a StPO eingeführt, um die Dauer von Ermittlungsverfahren – nach entsprechender Kritik an überlangen Ermittlungen – zu begrenzen. Es wurde eine amtswegige Überprüfung durch das Gericht eingeführt: Die Staatsanwaltschaft hat bei voraussichtlicher Überschreitung von 3 Jahren Ermittlungsdauer dem Gericht den Akt von Amts wegen samt Begründung zu übermitteln, woraufhin das Gericht die Höchstdauer (mehrmals) um weitere 2 Jahre verlängern kann. Aus Verteidigersicht hilft § 108a StPO nur bedingt – 3 Jahre sind ein langer Zeitraum; viele sind zwar deutlich vor Ablauf der 3 Jahre beendet, nicht aber notwendigerweise „früh genug“. Zudem gibt es kaum Abhilfe, wenn die Verzögerung in umfangreichen Datenauswertungen oder umfangreichen Sachverständigengutachten begründet ist, die auf sich warten lassen. Immerhin führte auch ein überlanges Ermittlungsverfahren nicht automatisch zur Einstellung. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann derzeit nur mit Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) geltend gemacht werden; und nur bei Entscheidung über einen solchen Einspruch darf das Gericht der Staatsanwaltschaft verfahrensbeschleunigende Maßnahmen auftragen (OGH 14 Os 16/19p).

Der Initiativantrag bezieht sich insb. auf den hohen administrativen Aufwand, den die Staatsanwaltschaften betreiben müssen, um die entsprechenden Akten samt Begründung rechtzeitig dem Gericht vorzulegen. Die amtswegige Überprüfung soll künftig entfallen und die Höchstdauer von 3 auf 2 Jahre herabgesetzt werden. Stellt der Beschuldigte einen Einstellungsantrag, hat die Staatsanwaltschaft bei Überschreiten der Höchstdauer von sich aus die Gründe dafür anzuführen. Das Gericht kann in weiterer Folge (sofern das Verfahren nicht ohnehin einzustellen ist) im Fall der Feststellung, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde, der Staatsanwaltschaft konkrete verfahrensbeschleunigende Maßnahmen auftragen. Eine Überprüfung der Ermittlungsdauer würde daher nur noch implizit im Rahmen der Entscheidung über einen Einstellungsantrag des Beschuldigten stattfinden.

2. Novellierung des Einstellungsantrags:

Aus Anlass des oben dargestellten Vorschlages zu § 108a StPO soll auch die Regelung über den Einstellungsantrag (§ 108 StPO) novelliert werden, um dort die Überprüfung der Höchstdauer der Ermittlungen hinkünftig abzubilden, § 108a StPO wird gestrichen. Aber auch darüber hinaus soll § 108 StPO abgeändert werden: Der Beschuldigten soll nun auch hinsichtlich einzelner Fakten die Einstellung begehren können, wenn wegen mehrerer Taten gegen ihn ermittelt wird. Auch die Staatsanwaltschaft kann in Reaktion auf einen Einstellungsantrag für einzelne Fakten unterschiedlich entscheiden. Schließlich sollen die „Wartefristen“ für die Stellung des Einstellungsantrags entfallen: Nach geltender Rechtslage darf ein Einstellungsantrag frühestens 3 bzw. (bei Verdacht eines Verbrechens) 6 Monate nach Beginn des Ermittlungsverfahrens gestellt werden; in Zukunft soll ein solcher sogleich, d.h. aber Erlangung der Beschuldigten- oder Verdächtigenrolle möglich sein. Dies führt uns zum Änderungsvorschlag Nr. 3, der in gewisser Weise zu einer zeitlichen „Vorverlagerung“ der Beschuldigten- bzw. Verdächtigeneigenschaft führen wird:

3. Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens:

Zur Möglichkeit, eine Anzeige „zurückzulegen“ und daher von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen (§ 35c StAG), sodass dieses erst gar nicht beginnt, könnte man viel schreiben. Das gilt auch für die damit im Zusammenhang stehende Frage, mit welchen „Ermittlungen“ ein Ermittlungsverfahren beginnt bzw. bei welchen es sich um bloße „Vorfeldermittlungen“ zur Klärung, ob überhaupt ein Anfangsverdacht vorliegt, handelt (vgl. § 91 Abs. 2 StPO). Wir halten uns kurz: Die Situation war unbefriedigend, vor allem aber eins: unübersichtlich. Der Initiativantrag möchte die Rechtslage vereinfachen, wenn auch zum Nachteil des Beschuldigten:

„Vorfeldermittlungen“ sollen eingeschränkt werden; nur noch Erkundigungen (also etwa informelle, freiwillige Befragungen), um abzuklären, ob aufgrund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass ein Sachverhalt einem gesetzlichen Tatbild entspricht, können erfolgen, ohne dass dadurch ein Ermittlungsverfahren beginnt. Alle anderen Abklärungen, also etwa, ob ein Anfangsverdacht gegen eine bestimmte Person vorliegt, sind Ermittlungen und lassen das Ermittlungsverfahren beginnen – für ein Zurücklegen der Anzeige nach dem neuen § 197a StPO ist dann kein Raum mehr.

Ein Absehen kann daher künftig nur noch erfolgen, wenn dies „vom Blatt weg“ möglich ist oder bloß Erkundigungen erfolgt sind. Trotz des Umstands, dass ein Ermittlungsverfahren dann gar nicht beginnt, kann künftig – im Gegensatz zur derzeit geltenden Rechtslage – das Opfer der Straftat einen „Antrag auf Verfolgung“ nach § 197c StPO stellen, sofern von der Verfolgung aus rechtlichen Gründen (z.B. wegen eingetretener Verjährung) abgesehen wurde. Ebenso geändert wird, wer vom Absehen informiert wird: Hinkünftig werden die Personen informiert, die auch im Fall einer Einstellung zu informieren wären, vorrangig Beschuldigter/Angezeigter und das (mögliche) Tatopfer; keine Verständigung erhält in Zukunft – anders als derzeit – der Anzeiger, der nicht zugleich Tatopfer ist.

4. Trennung des Verfahrens:

Aufgrund subjektiver bzw. objektiver Konnexität kommt es derzeit dazu, dass ein Strafverfahren laufend anwachsen kann, weil der gleiche Beschuldigte verdächtigt wird, weitere Straftaten begangen zu haben (subjektive Konnexität) oder weil Straftaten, die von mehreren Personen begangen wurden, in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen (objektive Konnexität). Das führt teilweise zu unüberschaubaren „Großverfahren“ mit zahlreichen Einzelfakten, wo einzelne Beschuldigte mit manchen Fakten gar nichts zu tun haben. So erhält ein Beschuldigter etwa im Rahmen der Akteneinsicht zahlreiche Unterlagen, die ihn gar nicht interessieren – was in Zeiten des elektronischen Aktes, wo man gezielt jene Dateien herunterladen kann, die relevant für das eigene Verfahren sind, vernachlässigbar erscheint (und nicht, wie früher, „blind“ den gesamten Akt für 0,70 € pro Seite kopieren ließ). Andersrum erfahren alle anderen Verfahrensbeteiligte – darunter auch die als Opfer geführten Parteien – von Umständen nicht nur aus „ihrem“, sondern aus allen konnexen, im selben Akt vereinten Ermittlungen. Da die Ermittlungen zum Teil schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen berühren, aber auch sehr private Lebensbereiche betreffen, erscheint dies unbefriedigend. Verstärkt wird diese Problematik zweifelsohne dadurch, dass durch die Sicherstellung von Mobiltelefonen & Co. eine Vielzahl an privaten Dateien (Mediendaten, Kommunikation, Kalendereinträge, usw.) in den Akt gelangen, und damit wiederum vielen anderen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gelangen. Schließlich verlangsamt das Großverfahren mitunter Ermittlungen zu Fakten, die für sich betrachtet auch schneller erledigt werden können.

Der Initiativantrag möchte hier zumindest teilweise Abhilfe verschaffen. Einerseits soll eine Verfahrenstrennung nicht nur dann möglich sein, um Verzögerungen zu vermeiden oder die Haft zu verkürzen (geltende Rechtslage), sondern auch, um schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen eines Beschuldigten zu wahren. Zugleich wird ein subjektives Recht des Beschuldigten auf Trennung des Verfahrens – bei Vorliegen eines der genannten Gründe – verankert, um eine entsprechende Trennung herbeizuführen; dies bleibt ihm nach geltendem Recht verwehrt. Eine entsprechende Verfahrenstrennung soll auch noch durch das Gericht möglich sein, etwa auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines Angeklagten (§ 37 Abs. 4). Meines Erachtens könnte der Gesetzgeber hier mutiger sein und die gemeinsame Führung von (Ermittlungs-)Verfahren überhaupt überdenken.

5. Veröffentlichung von OLG-Entscheidung:

Erfreulich und lange herbeigesehnt ist der Vorschlag, dass nun auch OLG-Entscheidungen im RIS veröffentlicht werden sollen. Angesichts der Tatsache, dass ein großer Bereich der Strafjustiz von Bezirksgerichten und Einzelrichtern am Landesgericht abgehandelt wird, bei denen der Instanzenzug beim jeweiligen Oberlandesgericht endet, ist diese Novellierung überfällig. Welche Rechtsprechungslinien zu Delikten der niedrigen oder mittelschweren Kriminalität vorhanden sind, welche Spruchpraxis die Oberlandesgerichte zur Strafzumessung (die ihnen auch bei schöffen- oder geschworenengerichtlichen Verurteilungen zukommt) aufweisen und welche Rechtsfragen wie beantwortet werden, ist derzeit faktisch nur aus eigener Erfahrung oder aus Einzelfallberichten (z.B. im wissenschaftlichen Schrifttum) bekannt. Unbefriedigend ist auch, dass z.B. Oberlandesgerichte in ihren Entscheidungen gerne frühere Entscheidungen zitieren, die aber für die Allgemeinheit gar nicht zugänglich sind.

Die geplante Veröffentlichungspflicht umfasst letztinstanzliche rechtskräftige Entscheidungen (im Volltext). Entscheidungen aus Ermittlungsverfahren dürfen erst dann veröffentlicht werden, wenn das zugrunde liegende Verfahren rechtskräftig beendet wurde.

6. Darüber hinaus…

Weitere Eckpunkte der Novelle sind (nicht abschließend):

  • Gerichtliche Bewilligungen: werden sie in Rufbereitschaft bzw. Journaldienst erteilt, dürfen sie höchstens bis zum zweitfolgenden Werktag befristet werden (§ 105 Abs. 1); bei mündlicher Bewilligung einer Zwangsmaßnahme hat das Gericht den wesentlichen Inhalt des Vorbringens der Staatsanwaltschaft und die Gründe für die Dringlichkeit in einem Amtsvermerk festzuhalten (§ 105 Abs. 3)
  • Sicherstellung von Vermögenswerten: die bisherigen Bestimmungen werden teilweise ergänzt bzw. abgeändert, etwa im Hinblick auf (sichergestellte) Kryptowerte, die nun auch auf ein behördeninternes Wallet zur effektiven Sicherung übertragen werden können
  • Sachverständigenbestellung: um Verzögerungen zu vermeiden, die durch das Warten auf SV-Gutachten hervorgerufen werden, soll Sachverständige bereits bei ihrer Bestellung glaubhaft machen, dass für die Einhaltung der gesetzten Frist für die Gutachtenserstattung hinreichend vorgekehrt wurde, und zwar unabhängig davon, ob bereits Fristüberschreitungen bei bereits erfolgten Beauftragungen vorliegen
  • Opferschutz: geplant ist u.a. die Ausweitung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung auf sämtliche Minderjährige, die Zeugen von Gewalt (nicht nur im sozialen Nahraum) sind

Es ist daran zu erinnern, dass der Initiativantrag noch nicht verbindlich ist, sondern jetzt erst der gesetzgeberische Prozess beginnt, insbesondere die (wenn auch kurz angesetzte) Begutachtung und Beratung im Justizausschuss. Es bleibt abzuwarten, was in welcher Form bleibt.