Kann ein verurteilter Täter seine Strafe einem Dritten „überwälzen“? Während diese Frage in der bisherigen Rechtsprechung verneint wurde, lässt eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufhorchen (10 Ob 200/23b): Der Rechtsberater, der weder über die tätige Reue noch über die Kronzeugenregelung aufklärt, kann schadenersatzpflichtig werden.
Der Entscheidung liegt ein komplexer Fall zugrunde, über den in der Vergangenheit auch medial berichtet wurde. Zusammengefasst hat ein Unternehmen im Jahr 2007 ein Wertgutachten („Fairness Opinion“) für ein Honorar von € 3,8 Mio. für den Verkauf einer Bank erstellt. In Abkehr von ursprünglichen Vereinbarungen wurde nachträglich vom Gutachtenersteller verlangt, die Rechnungen auf drei andere Unternehmen auszustellen. Das gutachtenerstellende Unternehmen folgte dem Wunsch und erstellte daraufhin drei Teilrechnungen (Scheinrechnungen).
Im Jahr 2011 berichtete eine Tageszeitung u.a. über diese Scheinrechnungen. Das gutachtenerstellende Unternehmen wurde wenig später zur Rückzahlung der aufgrund der Scheinrechnungen bezahlten Summen aufgefordert; zugleich wurde eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Letztlich wurden die Vorstände der Bank als auch des gutachtenerstellenden Unternehmens wegen Untreue und schweren Betrugs rechtskräftig verurteilt, über das gutachtenerstellende Unternehmen wurde eine Verbandsgeldbuße verhängt. Im nun nachfolgenden Zivilprozess macht dieses Unternehmen Schadenersatzansprüche (u.a. in Höhe der Verbandsgeldbuße) wegen fehlerhafter Beratung gegen ihren damaligen Rechtsberater geltend.
Der OGH stimmt in seiner Entscheidung im Sinne seiner bisherigen Rechtsprechung dem beklagten Rechtsberater zu (vgl. RS0026746), dass eine mögliche Falschberatung im Zeitpunkt der „Umetikettierung“ der Rechnungen keinen Schadenersatzanspruch begründet, weil der Täter – selbst im Fall einer Mitschuld des Beklagten – für sein strafwürdiges Verhalten allein einzustehen hat; ein solcher Regress verbietet sich angesichts der Strafzwecke. Dies sei aber anders zu beurteilen, wenn – wie im Anlassfall – eine unterlassene Beratung über die tätige Reue und die Kronzeugenregelung behauptet wird:
Denn der Rechtsberater hätte die Möglichkeiten der tätigen Reue und der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung aufzeigen müssen, weil sie zur Straffreiheit des Unternehmens führen hätten können. Ein Verstoß gegen diese Aufklärungspflicht kann „trotz“ der oben erwähnten Rechtsprechung zu einer Schadenersatzpflicht führen, weil der Gesetzgeber hier selbst zum Ausdruck bringt, unter bestimmten Voraussetzungen auf den Strafanspruch des Staates zu verzichten. Bei diesen Möglichkeiten geht es um die Chance, die aus einer Straftat resultierenden Konsequenzen im Nachhinein zu beseitigen, um die das Unternehmen durch eine Fehlberatung gebracht worden wäre.
Eine Haftung des Rechtsberaters steht damit noch nicht fest. Der OGH brachte lediglich zum Ausdruck, dass die hier unterlassene Aufklärung schadenersatzpflichtig machen kann, d.h. dem Schadenersatzanspruch nicht die bisherige Rechtsprechung entgegensteht. Im fortgesetzten Verfahren wird das klagende Unternehmen insbesondere nachweisen müssen, dass sie bei richtiger und vollständiger Beratung die Möglichkeit einer tätigen Reue ergriffen oder die Kronzeugenregelung in Anspruch genommen hätte und die Verbandsgeldbuße mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht verhängt worden wäre.
Ein aktueller Blog-Beitrag beschäftigt sich näher mit der tätigen Reue, den Sie hier finden.