Gleich zu Beginn des neuen Jahres konnte den Medien entnommen werden, dass das Bundesministerium für Justiz den Weisungsbericht 2021 veröffentlicht hat. Doch worum handelt es sich bei diesem „Weisungsbericht“?
Der „Weisungsbericht“ ist im Justizstrafrecht anzusiedeln, es geht daher um strafgerichtliche Verfahren. Zum besseren Verständnis ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass alle Staatsanwaltschaften weisungsgebunden sind, d.h. die jeweils zuständige Oberbehörde (konkret die „Oberstaatsanwaltschaft“ = OStA) kann einer Staatsanwaltschaft einen bestimmten Auftrag erteilen, wie z.B. folgende: Die Staatsanwaltschaft möge ein Strafverfahren einleiten, ein solches – z.B. trotz Vorliegen einer Anzeige – nicht einleiten, Anklage erheben, bestimmte Beweise aufnehmen, Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung erheben oder darauf verzichten, usw. Weisungen beinhalten daher eine bestimmte, von der Oberbehörde gewünschte Sachbehandlung in einer bestimmten Strafsache; sie sind grundsätzlich schriftlich zu erteilen. Diese Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft sind in § 29 Staatsanwaltschaftsgesetz (kurz: StAG) geregelt.
Die Weisungshierarchie endet aber nicht bei der OStA: Denn die Oberstaatsanwaltschaften sind nicht weisungsfrei, sondern sie sind dem Bundesministerium für Justiz (BMJ) weisungsunterworfen. Das bedeutet, dass auch das BMJ – mithilfe einer Weisung an die OStA – das weitere Vorgehen der zuständigen Staatsanwaltschaft in einer bestimmten Strafsache vorgeben kann. Die OStA ist verpflichtet, die vom BMJ erhaltene Weisung an die zuständige Staatsanwaltschaft – wiederum als Weisung – weiterzugeben (§ 29a Abs.1 StAG).
Dass letztlich ein politisch besetztes Organ – die/der Justizminister/in – die Weisungsspitze in Strafsachen bildet, ist umstritten. Immer wieder wurde in den letzten Jahren, auch im wissenschaftlichen Schrifttum, darüber diskutiert, dieses Weisungsgefüge abzuschaffen und etwa als Weisungsspitze einen unabhängigen und weisungsfreien „Generalstaatsanwalt“ einzusetzen. Diesem Thema widmete sich auch bereits eine vom BMJ eingesetzte Arbeitsgruppe, die im Herbst 2022 ihren Endbericht dazu vorlegte.
Als (mögliche) „Zwischenlösung“ wurde mit 1. Jänner 2016 der sogenannte Weisungsrat eingesetzt, womit in Wahrheit ein zuvor bereits durch den ehemaligen Justizminister Prof. Dr. Brandstetter Anfang 2014 errichtetes „Provisorium“ in Gesetz gegossen wurde (damals: „Weisenrat“). Der Weisungsrat ist bei der Generalprokurator angesiedelt und gehören ihm auch der Generalprokurator als Vorsitzender sowie zwei weitere Mitglieder (für die es auch zwei Ersatzmitglieder gibt) der Generalprokuratur an. Zwei weitere „externe“ Mitglieder mitsamt zweier Ersatzmitglieder werden über Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten bestellt (vgl. § 29b StAG).
Der Weisungsrat ist Beirat für den Weisungsbereich der/des Justizministers/in; er ist unabhängig und weisungsfrei. Seine wesentliche Aufgabe ist es, über Weisungsvorhaben und sonstige Erledigungsentwürfe im Zusammenhang mit Strafsachen der/des Justizministers/in zu beraten (vgl. § 29c Abs. 1 StAG). Weicht die/der Justizminister/in im Anschluss vom Beratungsergebnis des Weisungsrates ab, so ist das Beratungsergebnis des Weisungsrates mitsamt einer Begründung, weshalb ihm nicht gefolgt wurde, im „Weisungsbericht“ zu veröffentlichen.
Die Einsetzung des Weisungsrates hat die Weisungsbefugnis der/des Justizministers/in zwar nicht beseitigt, aber wohl doch zu einer gewissen Objektivierung und höheren Transparenz von Weisungen an die nachgeordneten Oberstaatsanwaltschaften geführt. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn sich der Gesetzgeber (endlich!) dazu entschließen könnte, den Weisungszusammenhang mit dem BMJ aufzulösen und ein unabhängiges und weisungsfreies Organ an die Spitze der (Ober-)Staatsanwaltschaften zu stellen.
Die Verpflichtung der/des Justizministers/in, dem Nationalrat und dem Bundesrat jährlich über die erteilten Weisungen zu berichten, findet sich in § 29a Abs. 3 StAG und besteht bereits seit 2010. Ebenso lange gibt es die „Weisungsberichte“, von welchen Jahrgang 2021 jene Weisungen beinhaltet, die zwischen 2014 und 2021 in Verfahren ergangen wurden, die mittlerweile beendet wurden. Der Weisungsbericht 2021 ist daher nicht besonders aktuell: Einerseits darf erst berichtet werden, wenn das zugrundeliegende Verfahren beendet wurde (was bekanntlich einige Jahre dauern kann), andererseits erschien der Bericht erst Ende 2023, also mit reichlich Verzögerung.
Der 175 Seiten starke Weisungsbericht 2021 berührt insgesamt 29 Strafverfahren, in denen insgesamt 31 Weisungen ergangen sind; in zwei Verfahren gab es zwei Weisungen. 15 Weisungen bezogen sich darauf, ein Verfahren einzuleiten oder fortzusetzen bzw. konkrete Erhebungen durchzuführen, 1 Weisung darauf, das Verfahren einzustellen bzw. nicht einzuleiten, 1 Weisung hatte zum Inhalt, eine andere Rechtsgrundlage anzuwenden (bei gleicher Zielrichtung) und 1 Weisung sah vor, ein Rechtsmittel zu erheben. Die übrigen 13 Weisungen werden im Bericht der Kategorie „Sonstiges“ zugeordnet. Die meisten Weisungen ergingen in Verfahren, die bei der WKStA anhängig waren, knapp gefolgt von Weisungen in Verfahren, die von der Staatsanwaltschaft Wien geführt wurden.
In den meisten Fällen hatte der Weisungsrat keinen Einwand gegen den Erledigungsentwurf des BMJ. In wenigen Fällen änderte das BMJ die Weisung anlässlich einer Empfehlung des Weisungsrates. In einem Fall (Nr. 29 im Bericht) folgte das BMJ der Äußerung des Weisungsrates nicht; es hielt in seiner Begründung aber auch fest, dass ein Widerspruch zwischen dem Erledigungsentwurf und der Rechtsansicht des Weisungsrates beim derzeitigen Verfahrensstand (Prüfung eines Anfangsverdachtes) nicht ersichtlich sei.