Jüngst ist das Thema „Zitierverbot“ wieder medial aufgekommen. Ein alter Gesetzesentwurf der ÖVP wird als „Angriff auf den Journalismus“ kritisiert. Um was geht es denn eigentlich?
- Status quo
Wie aus prominenten Strafverfahren hinlänglich bekannt, ist es derzeit zulässig, aus Ermittlungsakten wörtlich zu zitieren. So fanden sich Protokolle von Telefonüberwachungen (etwa in der Causa BUWOG: „Wo woar mei Leistung?“) als auch Chatnachrichten (z.B. in der Causa Kurz: „Kriegst eh alles, was Du willst“) in der gesamten Medienlandschaft – zu einem Zeitpunkt, als die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erst am Anfang standen und noch gar keine Hauptverhandlung vor einem Strafgericht stattfand. Ein bekanntes Beispiel ist etwa die „Da bin ich jetzt supernackt“-Lesung an der Universität Wien, ein Kabarettabend mit den Protokollen aus der geheimen Telefonüberwachung in der Causa BUWOG, der 2011 stattfand – 2 Jahre nach Beginn der Ermittlungen und 5 Jahre bevor die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat.
- Die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens
Die Kritik an der breiten Veröffentlichung von Aktenbestandteilen hat den Hintergrund, dass das Ermittlungsverfahren nach § 12 Abs 1 StPO nicht öffentlich zu führen ist. Das steht im Gegensatz zur Hauptverhandlung: Hauptverhandlungen vor Strafgerichten sind grundsätzlich (volks-)öffentlich, d.h. auch interessierte Zuhörer und Medienvertreter können den Gang der Hauptverhandlung „live“ verfolgen. Das Ermittlungsverfahren ist demgegenüber nicht (volks-) öffentlich; die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden werden nicht vor den Augen der Öffentlichkeit durchgeführt und werden auch die Berichte über Ermittlungsergebnisse in keiner öffentlichen Veranstaltung vorgetragen.
Die Akten, die im Ermittlungsverfahren angehäuft werden, sind aber nicht geheim. Denn neben den Strafverfolgungsbehörden (Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft) haben freilich auch der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter Zugang zu den Akten – ein fundamentales Verfahrensgrundrecht des Beschuldigten. Zudem dürfen auch Opfer und Privatbeteiligte Einsicht in den Akt nehmen, soweit ihre Interessen betroffen sind, und Dritte, die ein rechtliches Interesse an den Ermittlungsergebnissen nachweisen können (z.B. zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche, ohne dass eine Stellung als „Opfer“ im Sinne der Strafprozessordnung vorliegt). Alle genannten Verfahrensparteien haben daher Einblick in den Ermittlungsakt und haben Kenntnis von Protokollen aus Telefonüberwachungen, ausgewerteten Chat-Nachrichten aus sichergestellten Mobiltelefonen, den Aussagen von Zeugen und Beschuldigten vor der Staatsanwaltschaft, usw.
- „Leaks“ von Aktenteilen
Wie kommt es nun, dass die Medien aus Telefonüberwachungsprotokollen und Chat-Nachrichten, die im Ermittlungsverfahren sichergestellt und ausgewertet wurden, zitieren können, wenn sie nicht Partei des Ermittlungsverfahrens sind und daher keine Akteneinsicht nehmen können? Verkürzt gesagt – weil jemand Unterlagen aus dem Ermittlungsakt weitergibt. Wer „jemand“ ist, ist in den wenigsten Fällen, in denen es zu solchen „Leaks“ kommt, bekannt. Jedenfalls finden – auf welchen Weg auch immer – Aktenteile ihren Weg zu Journalisten, die in weiterer Folge darüber berichten; manchmal dürfte genau das auch das Motiv der Aktenweitergabe sein. Die Journalisten verwenden in weiterer Folge die übermittelten Aktenteile und veröffentlichen einzelne Seiten, Textpassagen oder Chat-Nachrichten im Rahmen ihrer Berichterstattung – obwohl das Ermittlungsverfahren grundsätzlich nicht-öffentlich ist, die Staatsanwaltschaft oftmals noch keine Anklage erhoben und die Causa noch nicht vor einem Strafgericht verhandelt wird. Der obligatorische Hinweis, es gelte die Unschuldsvermutung, wird vom eiligen Leser kaum wahrgenommen.
Am Rande sei erwähnt: Nicht jede Causa, über die während des Ermittlungsverfahrens medial (mit oder ohne Zitate) berichtet wird, führt zu einer Anklage und einer anschließenden Gerichtsverhandlung. Manche Ermittlungen werden eingestellt, weil sich ein anfänglicher Verdacht nicht bestätigen ließ oder als falsch herausstellt – darüber wird oft (zu) wenig berichtet.
- Inhalt des Zitierverbots
An dieser Stelle soll das „Zitierverbot“ greifen. Wörtliche Zitate aus Ermittlungsakten sollen verboten werden, solange die zugrunde liegenden Unterlagen nicht im Rahmen einer öffentlichen Gerichtsverhandlung thematisiert werden. Eine Berichterstattung über den Inhalt der Akten, ohne diese wörtlich zu zitieren, wäre damit aber nicht verboten. Das „Zitierverbot“ umfasst daher nicht automatisch das Verbot einer Verdachtsberichterstattung – es geht nicht darum, ob berichtet, sondern wie berichtet werden darf. Nach den medial berichteten Erwägungen zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf der ÖVP soll ein Zitierverbot insbesondere mediale Vorverurteilungen verhindern.
Ob das „Zitierverbot“ tatsächlich als (notwendiges) Mittel taugt, um Vorverurteilungen zu verhindern, lasse ich hier offen. Gleichzeitig stellt sich meines Erachtens schon die Frage, ob eine ausgewogene und objektive Medienberichterstattung davon lebt, dass großflächig aus Chat-Nachrichten oder Telefonüberwachungsprotokollen zitiert wird, ehe überhaupt Anklage erhoben wurde.
Verschärft wird die Problematik dadurch, dass durch umfassende Auswertungen von sichergestellten Mobiltelefonen & Co. zahlreiche Daten (E-Mails, Chats, Kalendereintragungen, Fotos usw.) in den Ermittlungsakt gelangen, von denen oft nur ein Bruchteil für die Aufklärung des Verdachts tatsächlich relevant ist. Die Novellierung der „Handy-Sicherstellung“ lässt aber leider auf sich warten -> hier geht’s zum Blog-Beitrag vom 13.06.2024 mit den ursprünglich geplanten Änderungen.