14. Juni 2024

Initiativantrag vom 13.06.2024 (Teil 1)

Geplante Änderungen im Strafverfahrensrecht – Teil 1

Am 13.06.2024 wurde der Initiativantrag 4125/A veröffentlicht; zugleich erfolgten Medienberichte darüber, dass sich die Regierung über eine Reform der Handysicherstellung geeinigt hätte. In diesem 1. Teil finden Sie einen Überblick über die angedachten Regelungen zur zukünftigen Sicherstellung/Beschlagnahme von Datenträgern und Mobiltelefonen:

Aktuelle Rechtslage:

Das geltende Strafverfahrensrecht unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen der Sicherstellung von Mobiltelefonen, Datenträgern, Laptops, einerseits und anderen physischen Gegenständen wie Tatwaffen, Notizhefte, Aktenordner andererseits (vgl. aber etwa § 111 Abs. 2 StPO). Insbesondere bedarf es zur Sicherstellung keiner gerichtlichen Bewilligung; auch nicht im Fall einer umfassenden Auswertung von Datenträgern. Dennoch ist klar, dass – anders als etwa bei der klassischen „Tatwaffe“ – auf Smartphones & Co. eine Vielzahl von Daten beheimatet ist, auf die die Strafverfolgungsbehörde nach der Sicherstellung uneingeschränkt Zugang hat – unabhängig davon, ob die durchsuchten Daten tatsächlich etwas mit der Anlasstat zutun haben. Die sich ergebende „Kaskade“ kennen wir alle, seit die Medien über zahlreiche Strafverfahren berichtet haben, denen allesamt Chatnachrichten aus einem einzigen, einmal sichergestellten Handy zugrunde liegen. Die auf einem Smartphone & Co. gespeicherten Daten können genutzt werden, um beinahe das gesamte Leben einer Person zu rekonstruieren. Diese Situation wurde im wissenschaftlichen Schrifttum (zu Recht) zunehmend kritisiert. Rückenwind gab es dann im Dezember 2023 vom Verfassungsgerichtshof: Aus seiner Sicht ist die derzeitige Regelung verfassungswidrig, weil sie gegen Datenschutzrecht und das Recht auf Privatleben verstößt (G 352/2021). Der VfGH gab dem Gesetzgeber bis zum 1.1.2025 Zeit, die Sicherstellung von Handys zu reformieren.

Initiativantrag:

In Zukunft soll bei der Sicherstellung von Gegenständen aus Beweisgründen unterschieden werden: Die Sicherstellung über sonstige Gegenstände bleibt im Wesentlichen unverändert aufrecht (marginale Änderungen erfolgen zu Vermögenswerten; dazu im Teil 2); die Sicherstellung von Datenträgern und Daten erfolgt nach einem gänzlich neuen Schema. Die neuen Regeln gelten nicht nur für Daten, die auf den Datenträgern („lokal“) gespeichert sind, sondern auch für Daten, die an anderen Speicherorten als einem Datenträger („extern“) gespeichert sind, auf die aber von diesem aus zugegriffen werden kann (z.B. bei Nutzung einer Cloud).

Vorrangig soll die Beschlagnahme von Datenträgern und Daten (§ 115f) zur Anwendung kommen, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich erscheint und anzunehmen ist, dass dadurch Informationen ermittelt werden können, die für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind. Die dafür an die Kriminalpolizei übermittelte Anordnung der Staatsanwaltschaft muss zuvor gerichtlich bewilligt werden. Eine eigenmächtige Sicherstellung durch die Kriminalpolizei darf zukünftig nur mehr bei Gefahr im Verzug erfolgen, wobei die Kriminalpolizei nicht berechtigt ist, dabei auf die Daten zuzugreifen (§ 115f Abs 4).

Das Gesetz legt ausdrücklich fest, wie diese Anordnung der Staatsanwaltschaft und die gerichtliche Bewilligung auszusehen hat: Neben den (zu erwartenden) Angaben über Tatverdacht und Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme muss die Anordnung/Bewilligung auch eine Umschreibung der Datenkategorien und Dateninhalte, die zu beschlagnahmen sind, und des relevanten Zeitraums zu enthalten. Wesentlich ist, dass diese Einschränkung von Datenkategorien/Dateninhalte/Zeitraum auch bei der Aufbereitung der Daten beachtet werden muss.

Nach der Beschlagnahme wird eine Originalsicherung hergestellt. Mithilfe der zusätzlich erstellten Arbeitskopie wird anschließend die Aufbereitung der Daten (§ 115h) durchgeführt. Bei der Aufbereitung ist die Kriminalpolizei an den gerichtlich bewilligten Umfang gebunden: die Aufbereitung von Daten außerhalb der dort erwähnten Datenkategorie/Dateninhalte oder außerhalb des dort genannten Zeitraums ist unzulässig. Mögliche Hinweise zu gänzlich anderen Straftaten sollten daher erst gar nicht auftauchen; gibt es diese dennoch, bleiben derartige „Zufallsfunde“ weiterhin verwertbar (§ 115j Abs. 2).

An die Aufbereitung schließt die Auswertung an. Die von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei verwendeten Suchparameter und die dazu erzielten Suchtreffer sind zu dokumentieren. Für das Verfahren relevante Auswertungsergebnisse sind zum Akt zu nehmen. Verfahrensbeteiligte (Beschuldigte, Opfer) können im Rahmen eines Beweisantrags die Auswertung anhand weiterer Suchparameter beantragen. Die Person, dessen Datenträger bzw. Daten beschlagnahmt wurden, hat das Recht, in das Ergebnis der Datenaufbereitung Einsicht zu nehmen – das ist ein beachtliches Novum im Vergleich zur geltenden Rechtslage.

Gegen die gerichtliche Bewilligung steht dem Beschuldigten (wie bislang) Beschwerde an das Oberlandesgericht offen. Stellt dieses anschließend fest, dass kein Anfangsverdacht vorlag, der die Durchführung der Beschlagnahme des Datenträgers/der Daten rechtfertigte, sind die daraus gewonnen Ergebnisse zu vernichten. Von Amts wegen oder auf Antrag sind auch Ergebnisse zu vernichten, die nicht von Bedeutung sein können oder als Beweismittel nicht verwendet werden dürfen. Wurde die Ermittlungsmaßnahme nicht rechtmäßig angeordnet oder bewilligt, dürfen die Ergebnisse bei sonstiger Nichtigkeit nicht verwendet werden.

In § 115l sind weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten des Rechtsschutzbeauftragten vorgesehen. Bei der Beschlagnahme von Datenträgern/Daten von Berufsgeheimnisträgern ist vorab die Zustimmung des Rechtsschutzbeauftragten einzuholen, in allen anderen Fällen ist er zu informieren.

Fazit:

Die vorgeschlagenen Regelungen sind insgesamt zu begrüßen; es war – auch unabhängig von der VfGH-Entscheidung – höchste Zeit, die Sicherstellung/Beschlagnahme von Beweisgegenständen an den technischen Fortschritt anzupassen. Dies ist im Großen und Ganzen gelungen. Über einige Details der Regelungen kann man diskutieren. Legistisch sind die Regelungen teils sperrig, teils (zu) ausführlich.

Die Hürde der Beschlagnahme ist nach wie vor relativ niedrig: Es genügt ein bloßer Anfangsverdacht, der z.B. auf einer anonymen Anzeige beruht. Die zu erwartende „wesentliche“ Aufklärung lässt Raum für Interpretation; es bleibt zu hoffen, dass das Wörtchen „wesentlich“ in der Praxis ernst genommen wird. In vielen Fällen wäre die Handysicherstellung verzichtbar, weil ausreichend (andere) Beweise vorliegen – man muss nicht zu jeder Tat nach (belastenden) Chat-Nachrichten suchen.

Erfreulich ist, dass die Person, dessen Datenträger / Daten beschlagnahmt wurden, sich in den Stand der Kriminalpolizei/Staatsanwaltschaft versetzen kann und in das Ergebnis der Aufbereitung Einsicht nehmen kann, d.h. in die Arbeitskopie, mit der die Strafverfolgungsbehörde arbeitet. Soweit ersichtlich wurde das Beweisantragsrecht, wonach Verfahrensbeteiligte die Suche mithilfe anderer Suchparameter bewirken können, nicht auch auf „Erkundungsbeweise“ (wie beim Sachverständigenbeweis; vgl. § 104 Abs. 1) ausgedehnt haben. Das bedeutet, dass der Antragsteller bereits im Zeitpunkt der Antragstellung „wissen“ muss, dass bei der beantragten Suche ein bestimmtes Beweismittel (z.B. eine Korrespondenz) auftauchen wird, mit dem ein bestimmtes Beweisthema geklärt werden kann. Das erscheint korrekturbedürftig.

Es ist schade, dass der Gesetzgeber nicht die Gelegenheit ergriffen hat, dem in der Praxis weit verbreiteten „Stampiglienbeschluss“, in dem sich der Richter die Begründung der Staatsanwaltschaft durch bloßen Stempelaufdruck „zu eigen macht“, ohne eine eigenständige Begründung abzugeben, einen Riegel vorzuschieben, und zwar bei sämtlichen gerichtlichen Bewilligungen von Zwangsmaßnahmen. Aus meiner Sicht bleibt er trotz erhöhter Begründungsanforderung nach § 115f Abs 3 selbst hier zulässig.

Die geplanten Änderungen sollen mit 1.1.2025 in Kraft treten. Ob und in welcher Form sie das tun, wird das weitere parlamentarische Verfahren zeigen. Es folgt nun die (relativ kurze) Begutachtung und die Behandlung des Initiativantrags im Justizausschuss; Anfang Juli soll das Reformpaket beschlossen werden.