Das Gesellschaftsrechtliche Digitalisierungsgesetz 2023 (GesDigG 2023) hat eine Novelle mit sich gebracht, die mit Digitalisierung – so könnte man meinen – wenig zu tun hat: die Disqualifikation von GmbH-Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern von AGs und Genossenschaften nach einer strafrechtlichen Verurteilung. Die Neuerung ist europarechtlichen Ursprungs und stammt aus der Digitalisierungsrichtlinie (RL 2019/1151 zur Änderung der RL 2017/1132). Was hat es damit auf sich?
In § 15 GmbH wurde ein neuer Abs 1a eingefügt, wonach Geschäftsführer nicht sein darf, wer von einem inländischen Gericht rechtskräftig zu einer mehr als 6-monatigen Freiheitsstrafe wegen (zumindest auch) eines im Folgenden aufgezählten Delikts verurteilt wurde. Eine parallele Bestimmung findet sich in § 75 Abs 2a AktienG und § 15 Abs 2a GenossenschaftsG. Disqualifiziert bedeutet, dass diese Person nicht zum Geschäftsführer bestellt werden darf bzw unverzüglich seinen Rücktritt erklären muss. Das Firmenbuchgericht kann die Disqualifikation von Amts wegen aufgreifen. Dennoch ist zu beachten, dass eingetragene „disqualifizierte“ Geschäftsführer die Gesellschaft wirksam nach außen vertreten; die Disqualifikation macht ihre Vertretungshandlungen nicht unwirksam.
Die Delikte, die zur Disqualifikation führen, umfassen praxisrelevante Wirtschaftsstrafdelikte:
- Betrug (§ 146 StGB) und Untreue (§ 153 StGB)
- Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB)
- Förderungsmissbrauch (§ 153b StGB)
- Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 153c StGB), „Sozialbetrug“ (§ 153d StGB) und Organisierte Schwarzarbeit (§ 153e StGB)
- Gläubigerschutzdelikte (§§ 156, 157, 158, 159)
- „Bilanzfälschung“ (§ 163a StGB)
- Geldwäscherei (§ 165)
- Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren (§ 168b StGB)
- Sonderdelikte zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU (§§ 168f, 168g StGB)
- Abgabenbetrug (§ 39 FinStrG) und Grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug (§ 40 FinStrG)
Die Delikte, die zur Disqualifikation führen, wurde von der EU nicht vorgegeben, sondern der Gesetzgeber suchte Vermögensdelikte mit typischem „Gesellschaftsbezug“. Die Voraussetzung, dass der Geschäftsführer zu einer mindestens 6-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt werden muss, ist ebenso eine österreichische Schöpfung, die angesichts der weitreichenden Konsequenz recht niedrig angesetzt ist. Immerhin kann sich die Verurteilung auch auf andere, im Katalog nicht genannte Delikte beziehen, für die insgesamt eine (zumindest) 6-monatige Freiheitsstrafe verhängt wurde; im gerichtlichen Strafrecht wird ja stets eine einheitliche Strafe gebildet (§ 28 Abs 1 StGB: Absorptionsprinzip).
Die Disqualifikation tritt grundsätzlich automatisch ein, sobald die Verurteilung in Rechtskraft erwachsen ist. Sie ist aber „erst“ für Verurteilungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2023 rechtskräftig geworden sind; frühere Verurteilungen führen also nicht nachträglich zu einer Disqualifikation. Da es sich um eine sogenannte „Rechtsfolge einer gerichtlichen Verurteilung“ iSd § 44 Abs 2 StGB (auch als „Nebenfolge“ bezeichnet) handelt, kann sie bei Vorliegen der Voraussetzungen bedingt nachgesehen werden. Die Disqualifikation wirkt für den Zeitraum von 3 Jahren ab Rechtskraft; die Verurteilung ist dann zwar wahrscheinlich noch nicht getilgt, also nach wie vor im Strafregister eingetragen, der Geschäftsführer aber nicht mehr disqualifiziert.
Verurteilungen (ausschließlich) wegen anderer Delikte, etwa Körperverletzungsdelikte, Sexualdelikte oder Rechtspflegedelikte (z.B. Falsche Beweisaussage), führen zu keiner Disqualifikation. Auch Verurteilungen zu weniger als 6 Monaten Freiheitsstrafe oder überhaupt bloß zu einer Geldstrafe (egal, wie hoch diese ausfällt) disqualifizieren nicht. Eine Diversion löst ebenfalls keine Disqualifikation aus. Vergleichbare ausländische Verurteilungen sind zu berücksichtigen.
Die „Disqualifikation“ ist eine sehr weitgehende berufliche Folge, die auch im Rahmen der strafrechtlichen Beratung in Zukunft jedenfalls mitbedacht werden muss. Es sei daran erinnert, dass viele der aufgezählten Delikte einer Tätigen Reue zugänglich sind (für Vermögensdelikte § 167 StGB, vgl aber auch § 153c Abs 2 StGB [bis Schluss der Verhandlung!] und § 165a) und im Finanzstrafrecht die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige besteht. Ein frühzeitiges Aufdecken derartiger Strafbarkeitsrisiken (Stichwort: Criminal Compliance) ist daher auch in dieser Hinsicht lohnend. Im weiteren Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens ist – freilich neben der Verteidigung „in der Sache“ – an eine Diversion zu denken. Und schließlich darf auch das Gericht an die bedingte Nachsicht der Disqualifikation erinnert werden. Eine versierte strafrechtliche Beratung und Verteidigung kann an vielen Schrauben drehen…!
Im Übrigen hat die Einführung einer „Disqualifikation“ tatsächlich auch einen Digitalisierungsaspekt: Aufgrund der erwähnten europarechtlichen Vorgaben müssen die Mitgliedstaaten auch ein System zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch über disqualifizierte Geschäftsführer einrichten, um bereits bei der Gesellschaftsgründung sicherzustellen, dass „disqualifizierte“ Personen nicht als vertretungsbefugte Organe eingetragen werden können.